Tinta musicale

Glossar: TINTA MUSICALE

Dieser Beitrag erklärt den Fachbegriff TINTA MUSICALE in wenigen Sätzen mit Links zu praktischen Beispielen.

 

Was ist Tinta Musicale?

Verdi beim Dirigieren der Aida

Dieser Begriff stammt aus der musikalischen Sprache Verdis und es gibt dazu keine formale Definition. Um was geht es?  Verdi stattete seine Opern ab dem Nabucco jeweils mit eigenen MUSIKALISCHEN GRUNDFARBEN UND MUSIKALISCHE CHARAKTERISIERUNG (rhythmischen Strukturen, Verlauf von Harmonien usw.) aus.

In «La traviata» waren es beispielsweise die Waltzer-Rhytmen der bürgerlichen Gesellschaft oder in Aida unter anderem die Verwendung einer eigens entwickelten Aida-Trompete (Fanfaren der Pharaonin). Für Verdi war die Entwicklung der charakteristischen Tinta einer Oper ein wichtiger Teil der Kompositionsarbeit, aber auch ein mühseliger («il piu fatticoso lavoro»), denn die Tinta wurde strategisch entwickelt, sie musste die Szenen & Handlung unterstützen und die historische Einbettung der Oper widerspiegeln.

 

Beispiele aus Verdis Opern:

 

Tinta musicale Nabucco

Die «Tinta musicale» des «Nabucco»: Trotz des formalen Konservatismus wurde Nabucco musikalisch zu einer bedeutenden Innovation. Noch nie hatte man die beinahe brutal und elementar anmutende Kraft der Musik so wie in Nabucco erlebt, die sich anhört «wie ein Sansculotte, der in ein Wohnzimmer eindringt» (Gori, «Guida al Teatro d‘opera»). Dies manifestiert sich in der Rolle der Abigaille, der Rolle des Baritons, dem des Orchesters und des Chors. Diese vier Elemente bilden den wichtigsten Teil der «Tinta musicale» von «Nabucco».

Der Lärm: Das Orchester fällt schon zu Beginn durch seine Lautstärke und den metallischen, harten Klang auf. Verdi hat für Nabucco eine lärmige Musik geschrieben. Er liebte die scharfen Akzente, welche er in diesem Werk ungebändigt und in dramatischer Weise dem Hörer präsentiert.

Die Rolle der Abigaille: Abigailles Musik besticht durch ihre Besessenheit, die Verdi mit wilden Tonsprüngen dokumentiert. Verdi ist ein romantischer Komponist und steht nicht mit klassizistischer Zurückhaltung über seiner Kunst wie Rossini, sondern ist Beteiligter; ein Betroffener der Geschichten, die er vertont.

Die Rolle des Chors: Die Chor- und Massenszenen verfehlen Ihre Wirkung auf den Zuhörer nicht. Die zeitgenössischen Hörer waren sich gewohnt, dass in der belcantistischen Oper der Chor eine untergeordnete, begleitende Rolle spielte. Und nun komponiert Verdi eine Oper, in der der Chor die Präsenz eines Hauptdarstellers hat, zu einem bedeutenden Träger der dramatischen Handlung wird und mit «Va pensiero» sogar die berühmteste Stelle der ganzen Oper, ja der ganzen Operngeschichte singt. Vieles ist geschrieben worden über Verdis politische und geistige Rolle im italienischen Freiheitsstreben des neunzehnten Jahrhunderts, wie er mit diesem Stück später zum inspirierenden Komponisten des Risorgimento (der italienischen Freiheitsbewegung) wurde. Verdi betonte später, dass schon an der Uraufführung von Nabucco die Zuhörer diese Hymne der Hebräer mit ihrem Widerstand gegen die österreichische Obrigkeit assoziierten. Letztere Aussage ist jedoch historisch umstritten. Verdi hat in seinen späteren Jahren diesen Mythos eingehend gepflegt.

Der Verdi Bariton: Ein weiteres charakteristisches Element des Nabucco ist das Fehlen eines Tenorprotagonisten, dessen Rolle durch Nabucco, einem Bariton, ausgefüllt wird. Zum ersten Mal taucht der «Verdi Bariton» auf, eine Rolle die große dramatische Darstellungskraft entfalten muss und sich durch hohe stimmliche Flexibilität für Passagen in höheren Lagen auszeichnet. Nabucco muss nicht einen verliebten Tenor spielen, sondern einen Vater ohne Ehefrau, Heeresführer, Widerpart des Zaccaria und er muss gegen sich selbst kämpfen. Für diesen Bariton Typ wird Verdi noch öfters komponieren.

Link zum Opernportrait Nabucco

 

 

Tinta musicale Macbeth

Verdi schrieb den Macbeth für den Impresario Lanari. Dieser war empfänglich für Experimente und gab Verdi den Raum Ungewöhnliches zu erschaffen. Verdis geniale Strategie jeder Oper eine eigene Musikfarbe zu geben, zahlte sich in Macbeth in höchstem Masse aus. Worin besteht die Tinta des Macbeth? Zum einen sind es die düsteren Szenen des Wahnsinns und der Hexen. Zum andern hat er die Hauptrollen nicht klassisch mit Tenor und Sopran besetzt, sondern durch einen Bariton mit einer tiefer Tessitura und dunklem Klang und einem Mezzo dessen Stimme die düstersten Farben produzieren kann.

Link zum Opernportrait Nabucco

 

 

Tinta Musicale Rigoletto

Die «Tinta musicale» des «Rigoletto» wird bestimmt durch die Düsterheit der Rolle und der Musik des Hofnarren (düstere Akkorde, punktiertes Fluch Motiv etc.) und den Kontrast zur höfischen Fröhlichkeit des Herzogs (Arien in Menuett Form). Dazu kommt, dass sämtliche Rollen außer Primo Tenore und Primo Soprano tieferen Stimmfächern anvertraut wurden. Ein zweiter wichtiger Aspekt der Tinta des «Rigoletto» ist die Häufigkeit der Duette. Verdi selbst hat Rigoletto eine «Abfolge von Duetten» genannt.

Link zum Opernportrait Rigoletto

 

 

 

Tinta Musicale Traviata

Für die vielen Salon- Szenen verwendete Verdi vornehmlich walzerähnliche Rhythmen. Dieser tänzerische Aspekt weitete er auf Szenen wie Duette etc. aus, der Großteil der Partitur ist im Dreiertakt geschrieben. Ein zweites charakteristisches Element ist die kammermusikalische Gestaltung des Werks. Weite Teile der Oper sind in Arien oder Duette angelegt; Chorszenen und Terzette tauchen nur sehr spärlich auf. Ein drittes charakteristisches Element ist die Verwendung des Liebesmotivs, welches Verdi immer wieder zitiert, zuweilen in dramatischer Form (beispielsweise in «Amami» des zweiten Akts), zuweilen in lyrischer Form (beispielsweise in der Sterbeszene und im Liebesduett des ersten Akts). Sie sehen ein Notenbeispiel des Liebesmotivs im Kommentar zur Arie «Ah fors’è lui»

Link zum Opernportrait Traviata

 

 

Tinta Musicale Simon Boccanegra

In dieser Oper ist zuvorderst die Düsternis zu nennen, welche sich auf verschiedenen Ebenen abspielt. Sie beginnt bei der Lichtregie,  geht zur deklamatorischen Gestaltung der Singstimmen (zu Lasten von klassischen Nummernarien) und der Wahl der Stimmen: die Amelia ist die einzige Frauenstimme neben einer Armada von 6 Männerstimmen. Dazu gehört, dass die Hauptrolle nicht dem Tenor oder dem Sopran, sondern dem sogenannten «Verdi Bariton», einer Baritonstimme mit dramatischen Qualitäten und ausdauernder Höhensicherheit zugewiesen wurde.

Link zum Opernportrait Simon Boccanegra

 

 

Tinta Musicale Don Carlo

Wir erleben in verschieden Szenen, dass die melancholische Stimmung der Musik einen wichtigen Teil der Tinta musicale der Oper bildet. Ebenfalls zur Tinta gehören die vielen Massenszenen, die den Don Carlo zu einem Ausnahmewerk in Verdis Oeuvre machen. Als drittes Element, lässt sich die Düsterkeit nennen. Verdi realisiert dies mit der Wahl der Stimmen. Neben dem Bariton des Posa singen drei Bässe (Philipp, der Großinquisitor und der Mönch) Singrollen.

Link zum Opernportrait Don Carlo

 

 

Tinta Musicale Aida

Ein wichtiges Grundprinzip der Tinta der «Aida» war die «Varietà», die Kontrastierung der Gegensätze. Auf der einen Seite steht die Liebesbeziehung, verkörpert durch Aida und Radames, auf der anderen Seite die der Staatsraison- respektive -macht, verkörpert durch die Priester. Ergänzt wird dieses Spannungsfeld durch das Drama der Amneris. Verdi hat dazu Erinnerungsmotive entwickelt, die wiederholt zitiert werden. Sie finden im Abschnitt zur Ouvertüre das Liebesmotiv und das Priestermotiv. Daneben gibt es noch zwei Motive der Amneris. Ein weiterer Aspekt der «Tinta» der «Aida» sind die Massenszenen. Verdi ließ dafür eigens die sogenannte Aida-Trompete entwickeln, die wir beispielsweise im Triumphmarsch hören. Verdi setzte die Massenszenen bewusst ein, um einen Kontrast zu den vielen lyrischen Szenen zu gestalten, die wir beispielsweise in den ergreifenden Duetten zwischen Radames und Aida hören. Ein weiterer Aspekt der Tinta sind die vielen Duette. Während wir insgesamt nur drei klassische Arien zählen («Celeste Aida», «Ritorna vincitor» und «O patria»), schrieb Verdi sechs Duette, deren berühmtestes das Schlussduett «O terra addio» wurde.

Link zum Opernportrait Aida

 

 

 

Peter Lutz, opera-inside, der online Opernführer

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