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Online Opernführer & Handlung zu Mussorgskys BORIS GODUNOV

Mit dem Boris Godunov hat Mussorgsky eine einzigartige Oper geschrieben, einen Monolithen der Operngeschichte. Die russischste aller Opern begeistert mit großartiger Musik und faszinierendsten Szenen und wurde zur Russischen Nationaloper. Viele seiner Musik Ideen wurden Jahrzehnte später zur Inspiration einer neuen Künstlergeneration.

 

 

 

Inhalt

Handlung

Kommentar

Prolog

Akt I 

Akt II

Akt III

Akt IV

 

Höhepunkte

Nu shtozh vy (Was soll das? Steht herum wie stumme Götzen! Einleitung

Na kovo ty nas pokidaesh (Ach warum verlässt Du uns) Chor

Slava tebyé (Ehre, Lob und Preis) Pilger Chor

Da zdravstvuet!! (Lang lebe unser Zar / Krönungsszene) Krönungs Szene

Skorbit dusha  (Die Seele bebt)  Boris’ Monolog der Krönung

Kak vo gorde (Zu Kasan war es in der alten Feste) Trinklied des Bettelmönchs

Uk tyazhelo (Oh, ich erstick) Wahnsinssszene / Uhren Szene

O tsarjevich, umolyayu, nye klyani (O Zarewitsch, ich beschwör Dich) Garten Duett

Proschay moy syn, umirayu  (Lebt wohl, mein Sohn, ich sterbe) Boris’ Abschieds Szene

Zvon! Pogrebal’ny zvon! Hark! (Horch, ein Glockenton) Todes Szene

 

 

Aufnahme Empfehlung

♪ Aufnahme Empfehlung

 

 

 

URAUFFÜHRUNG

St. Petersburg, 1874

LIBRETTO

Modest Mussorgsky, basierend auf dem Drama Boris Godunov von Alexander Puschkin.

HAUPTROLLEN

Boris Godunov, Zar von Russland (Bass) - Fjodor, Sohn von Godunov (Mezzosopran) - Xenia, Tochter von Godunov (Sopran) - Shtshelkalov, Sekretär der Duma (Bariton) - Shuiski, Bojare (Tenor) - Pimen, Mönch (Bass) - Grigori resp. Dmitri, Mönch und später der falsche Zarewitsch (Tenor) - Marina, Tochter eines polnischen Fürsten (Sopran) - Rangoni, Jesuit und Berater Marinas (Bariton) - Varlaam und Missail, Bettelmönche (Bass, Tenor) - Tolpan, ein Schwachsinniger (Tenor)

AUFNAHME EMPFEHLUNG

DECCA, Nicolai Ghiaurov, Alexey Maslennikow, Martti Talvela, Ludovico Spiess, Galina Wischnewskaja, Zoltan Kelemen, Anton Diakow unter der Leitung von Herbert von Karjan und dem Chor und Orchester der Wiener Staatsoper.

 

 

 

 

ROLLE & HANDLUNG VON BORIS GODUNOV

 

 

 

 

 


KOMMENTAR

 

 

 

Die «russische Nationaloper»

Die Geschichte des «mächtigen Häufleins» («Gruppe der fünf») und deren Ziel der Förderung der nationalrussischen Musik ist unter Musikfreunden hinlänglich bekannt. Wie die meisten Mitglieder war Mussorgsky Musiker im Nebenberuf und ging hauptberuflich einer Berufstätigkeit nach. Das hatte auf den Boris Godunov eine dramatische Konsequenz, denn Mussorgsky war zwar neben Tschaikowsky der begnadetste Musiker den Russland je hatte, aber seine mangelnde formelle Musik Ausbildung limitierte ihn zeitweise und er musste oft bei seinem Förderer und Freund Rimsky-Korsakoff um Rat fragen. Dieser revidierte denn auch nach dem frühen Tode Mussorgskys die Oper von Grunde auf (siehe weiter unten).

Das Russische Element versuchte Mussorgsky durch die Harmonien, die Chöre, und der durch den Realismus der Darstellung und Sprache zu erreichen. Er verwendete dazu als Basis ein Werk Puschkins, das er wo immer möglich 1:1 verwendete.

 

Das Volk und der Chor

Das Volk und damit musikalisch gesprochen der Chor wurde zu einem bestimmenden Element dieser Oper. Mit den russischen Melodien und der Harmonik der Kirchlich-Orthodoxen Musik berührt er bis zum heutigen Tag die russische Seele und das Werk wurde zum Inbegriff der russischen Oper.

Die Anforderungen an den Chor sind beträchtlich. Der Chor agiert oft wie handelnde Personen und es gibt manche mehrstimmige Stellen die teilweise sogar dialogisch gestaltet sind und dadurch eine unheimliche Präzision bedürfen.

 

Quellen und Libretto

Puschkin schrieb sein gleichnamiges Drama im Jahre 1825, aber erst 40 Jahre später wurde es aus Gründen der Zensur veröffentlicht. Puschkin schrieb keinen klassischen Roman sondern 24 Szenen, von denen Mussorgsky 7-9 Szenen verwendete (je nach gewählter Fassung der Oper). In der ersten Fassung wählte Mussorgsky  7 Szenen aus, in denen die Rolle der Hauptperson im Vordergrund stand, mit dem Ziel ein psychologisches Portrait des Boris Godunov zu gestalten.

Mussorgsky schrieb das Libretto selber, er nahm viele der Passagen wörtlich und blieb bei den gewählten Szenen nahe am Original. Die Oper gehört damit zum Genre der klassischen «Literaturoper».

 

Der geschichtliche Hintergrund

Der geschichtliche Hintergrund  ist für das Verständnis der Oper nicht zentral, aber trotzdem sehr spannend. Puschkin basierte die Geschichte auf Kasamsins «Geschichte des russischen Reiches.»

Nach dem Tod Iwans des Schrecklichen befand sich das Zarenreich in einem desolaten Zustand. Sein unstabiler Sohn Fyodor überließ die Staatsgeschäfte dem Bojaren Boris Godunov. Der zweite Sohn des verstorbenen Iwan, der 8-jähriger Sohn Dmitri starb kurz darauf. Der Tod wurde zwar als Unfall deklariert, aber wahrscheinlich wurde er Opfer von Boris Godunov. So wurde Godunov, als Fyodor 7 Jahre später starb, selbst zum Zaren. Er initiierte mit dem Erzfeind Polen einen Friedensvertrag, der aber bereits drei Jahre später unter dem Einfluss eines in Polen wundersam erschienen Dmitri gekündigt wurde. Godunovs Regierungszeit war eine von großen Krisen überschattete Zeit und Godunov wurde von den Bojaren (den Adligen) heftig kritisiert. In dieser von Hungersnöten geprägte Zeit versuchte Dmitri von Polen aus Godunov die Kaiserwürde zu entreißen und es gelang ihm mit der Hilfe des Bojaren Shuiski und dem polnischen Kirchenmanns Rangoni ein Heer zu mobilisieren. Der Umsturz scheiterte zwar, er konnte aber nach dem Tod von Godunov trotzdem die Zarenwürde übernehmen. Er heiratete die Polin Marina, wurde aber kurz danach durch eine Intrige Shuiskis getötet- Shuiski wurde als Vassili IV der neue Zar Russlands.

 

 

Musik

Mussorgsky schrieb eine Musik, die sich grundsätzlich von der damals auch in Russland bestimmenden italienischen Oper unterschied. Er schrieb eine eigenständige Musik, wenn auch die Massenszenen von der französischen Opern beeinflusst sein mögen.

Mussorgsky verzichtet weitgehend auf eine Unterscheidung von Rezitativ und Arie. Viele der Solo Auftritte beinhalten keine Arien sondern sind entweder Monologe oder Lieder. Weitgehend bleibt Mussorgsky dem Prinzip «eine Silbe = eine Note» treu, was die Textverständlichkeit maximiert.  Dabei verwendet er keine klassischen Melodielinien, sondern es sind gesungene Sätze die von Akkorden beendet werden und dann wieder begonnen werden. Die Musik ist harmonisch kühn, einzig in der Polen-Szene wird sie opernhaft. Ein häufig von ihm verwendetes Stilmittel ist, den Solisten vor einem Klangteppich eines Chores singen zu lassen. Es ist eine jener Neuerungen, die später von vielen Komponisten übernommen werden sollten.

 

Die Geschichte der vielen Fassungen der Oper

Nach der ersten Publikation von Puschkins Werk, arbeitete Mussorgsky bis 1869 rasch eine erste Version aus. Sie wurde vom kaiserlichen Theater St. Petersburg abgelehnt, zu modern erschien sie den Experten. Als Hauptargument wurde die fehlende Frauenrolle angeführt.

Mussorgsky machte sich erneut ans Werk und schrieb 1871 eine zweite Fassung mit dem sogenannten Polen Akt und dessen Rolle der Marina. Die Theaterleitung blieb aber zurückhaltend, erst eine gekürzte szenische Aufführung von 1873 bewog das Theater einer Inszenierung zuzustimmen. 1874 war es soweit und es wurde mit (allen) 20 ausverkauften Aufführungen im St. Petersburger Marjinski Theater zum größten Triumph Mussorgskys. Zwar blieb die konservative Presse mehrheitlich ablehnend  (darunter auch Tschaikowsky), doch die Studenten und Progressiven waren begeistert. Nach Mussorgskys frühen Tod 1881, nahm sich sein Freund Rimsky Korsakoff wiederholt der Partitur an (zuletzt sogar unter dem Einfluss von Debussy, der das Werk hoch schätzte) und veränderte «handwerkliche Mängel». Mit seiner letzten Fassung aus dem Jahr 1898 ging das Werk weitere 10 Jahre später mit der Verkörperung des Boris Godunov durch Fjodor Schaljapin um die Welt und erfuhr seinen Durchbruch. 1959 wurde das Werk von Schostakowitsch basierend auf der Originalversion noch einmal neu instrumentiert. Mittlerweile hört man mehr und mehr die Originalversion Mussorgskys. Rimsky-Korsakoff der den Komponist und seine Musik liebte, mutmaßte denn auch, dass irgendwann die Zeit komme, in der man das Original wertvoller halten werde als seine Revision.

 

Welcher Schluss?

Durch die vielen Fassungen gibt es natürlich unzählige Kombination von Versionen und Szenen. Die prominenteste Fragestellung bleibt, ob die Revolutions-Szene oder die Ratsaal-Szene den Abschluss machen soll.

 

 

 

BORIS GODUNOV PROLOG

 

 

Тоска (tas-‘ka) – Russische Sehnsucht

Handlung: Im Hof eines Kloster in der Nähe von Moskau. Der Zar ist gestorben. Der mutmaßliche Nachfolger Boris Godunov hat sich in das Kloster zurückgezogen.

Das Werk beginnt mit einer typischen russischen Volksweise. Mussorgsky steigert die Intensität der Wiederholungen mit der anwachsenden Zahl von Instrumenten. Diese Melodie löst im Hörer etwas aus, das die Russen Тоска (tas-‘ka) nennen. Es ist eine Art des Schmerzes, der Melancholie und der Sehnsucht, einem Gefühlszustand ohne spezifischen äußeren Anlass.

Nach diesem beschaulichen Beginn, nimmt die Musik in der Folge bedrohliche Züge an, angepeitscht von den Streichern.

Nu shtozh vy (Was soll das? Steht herum wie stumme Götzen!) – semkov


 

Handlung: Ein Vogt treibt das vor dem Kloster versammelte Volk mit der Peitsche an,  Boris Godunov anzuflehen, das verwaiste Amt des Zaren zu übernehmen

Durch die Verwendung von Kirchentonarten und chromatischen Passagen bekommt diese schöne Chorpassage den typischen slawischen Charakter.

Na kovo ty nas pokidaesh (Ach warum verlässt Du uns) –  Karajan

 

Handlung: Shchelkalov, der Abgeordnete der Duma erscheint und mahnt, dass Russland die Weisheit des Godunovs benötigt.

Pravoslavnyye (Höret Bürger all)

 

 

Der Pilgerchor

Handlung: Eine Gruppe von blinden Pilgern erscheint und geht ins Kloster. Sie ermahnen einen Zaren zu ernennen, der den Aufruhr in Russland beenden könne.

Ein wunderschöner Chor der Pilger, der sich zur Hymne entwickelt, antwortet Shchelkalov.

Slava tebyé (Glory to thee our lord)  –  Ermler

 

 

Die Krönungsszene und die berühmten Glocken

Handlung: Ein Platz im Kreml. Das Volk erwartet die Krönung vor der Kirche und eine Prozession begibt sich zur Krönung des neuen Zaren Boris Godunov zur Kathedrale.

Mussorgsky arbeitete lange am Klang der Kirchenglocken, sein Freund und zeitweiliger Zimmerkamerade Rimsky Korsakoff half ihm dabei. Die Glocken der Orthodoxen Kirche haben einen eigentümlichen und komplexen Klang, denn das Zusammenspiel der  Glocken hat kein harmonisches Fundament. Mussorgsky imitiert den Klang dieser Glocken mit zwei Akkorden die zusammen eine atonalen Moment kreieren, welcher auf den Zuhörer einen faszinierenden Effekt ausübt. Die Glocken tönen expressiv und modern und der Hörer fühlt sich zeitlich 50 Jahre nach vorne zu Bartok versetzt zu sein.

Die Glocken ertönen gleich zu Beginn des Tonbeispiels. Hören Sie sich anschließend den Beginn von Rachmaninows berühmten 2. Klavierkonzerts mit den einleitenden Klavierakkorden an, und sie werden die Glocken Mussorgskys hören!

Anschließend hören wir einen wunderschönen kanonartigen Kirchenchor,  bei dessen Wiederholung Mussorgsky mit einer sich stetig steigernden Instrumentation ein gewaltiges Crescendo und einen ekstatischen Effekt kreiert. Im zweiten Teil des Chorsatzes beginnt er Dreiviertel und Zweiviertel Takte zu alternieren, womit er ein wichtiges Stilmittel späterer Epochen vorwegnahm.

Da zdravstvuet!! (Lang lebe unser Zar / Krönungsszene)  –  Bolshoi

 

 

Boris Godunovs Monolog – eine einzigartige Szene

Handlung: Boris erscheint auf den Stufen der Kathedrale. Demütig erklärt er, das schwierige Amt gerecht ausüben zu wollen. Das Volk feiert den neuen Zaren als er die Zarenwürde entgegennimmt.

Es ist der erste Auftritt Godunovs in der Oper. Überrascht treffen wir auf einen nachdenklichen Menschen im größten Triumph seines Lebens. Boris ist innerlich bereits zerrissen und scheint mehr zu sich zu sprechen als zum Volk.

Skorbit dusha  (Die Seele bebt / Boris’ Monolog)  –  Nesterenko

 

 

 

 

 

BORIS GODUNOV AKT I

 

 

 

 

Pimens Monolog

Handlung: In einer Zelle des Tschudow Klosters. Der Mönch Pimen arbeitet an seiner Chronik Russlands.

Mussorgsky lässt in Pimens Monolog eine der charakteristischen Instrumentationen der Oper erklingen. Es sind die markanten Bratschen (die wie in keinem anderen Werk so prominent ertönen) mit einem ostinato Motiv und die in tiefen Lagen gespielten Fagotte und Klarinetten, die dem Orchester eine dunkle Klangfarbe geben. Sein Monolog ist feierlich und gemessen.

Yeshcho odno poslyednye skazanye (Nur eine noch, die letzte meiner Kunden / Pimens Monolog)  –  Gmyria

 

 

Grigoris Drang nach Größe

Handlung: Sein Zellengenosse, der Mönch Grigori erwacht. Er erzählt von einen Alptraum, wo er auf einen Turm gestiegen sei, während das Volk vor ihm versammelt war  und er vom Turm herunterfiel. Pimen mahnt Grigori zur Bescheidenheit. Er erzählt ihm die Geschichte des Zarewitsch Dmitri und bittet Grigori die Chronik Russlands mit dessen zu beenden, um die Freveltat des Zaren zu dokumentieren.

Bozhe krepky, pravy (Gott gerechter Vater, erhöhe unser Flehn)

 

Handlung: Aufgewühlt erfährt Grigori, dass Boris Godunov den Tod des jungen Zarewitsch Dmitri anordnete, der jetzt gerade so alt wäre wie der Novize.

 

 

Grigoris Wandlung zum Usurpator

Handlung: In einer Schenke nahe der litauischen Grenze. Die Wirtin singt das Lied des Enterichs.

Poymala ya (Hab gefangen ich einen Enterich)

 

Das Trinklied des Bettelmönchen

Handlung: Grigori war aus dem Kloster entlaufen und plant sich als Zarensohn Dmitri auszugeben, der dem Mordanschlag 10 Jahre zuvor entgangen sei. Auf der Flucht vor der Geheimpolizei des Zaren ist er auf die beiden Bettelmönchen Warlaam und Missail gestoßen, und sie klopfen nachts an die Tür der Schenke. Die Wirtin erbarmt sich ihrer und bewirtet sie. Zum Dank gibt Warlaam ihr eine Geschichte zum Besten.

Wir hören den schwungvollen trinkfreudigen Kosakengesang in der sehenswerten Version der sowjet-russischen TV Fassung aus dem 1954.

Kak vo gorode (Zu Kasan war es in der alten Feste)

 

 

Grigoris Flucht

Handlung: Grigory versucht von der Wirtin den Weg nach Litauen zu erfahren. Sie erzählt ihm, dass die Grenzen scharf bewacht werden, man sei auf der Suche nach einem Flüchtling. Plötzlich klopft es an der Tür. Eine Polizei Patrouille kontrolliert die Schenke auf der Suche nach dem Flüchtling. Sie haben einen Haftbefehl. Der dem Lesen unkundige Soldat fordert Grigori auf, den Zettel vorzulesen. Grigori will den Verdacht auf Warlaam lenken und fälscht den Wortlaut. Als die Polizisten Warlaam ergreifen, reißt dieser Grigori den Zettel aus der Hand und liest die richtige Beschreibung vor, die auf Grigori passt. Grigori springt aus dem Fenster und entkommt den Soldaten.

 

 

 

 

BORIS GODUNOV AKT II

 

 

 

 

 

Handlung: In einem prunkvollen Gemach im Kreml. Die Zarentochter Xenia ist traurig in ein Bild des verstorbenen Zarewitsch versunken. Ihre Amme versucht sie mit einem Lied aufzumuntern. Fjodor stößt hinzu und gemeinsam singen sie ein Klatschspiel.

Es ist ein fröhliches Stück, das mit seiner Unbeschwertheit geschickt einen dramatischen Kontrast zur darauf folgenden Wahnsinnsszene bildet.

 

Skazochka pro to i pro syo (Sag mir ob mein Märchen Dir gefällt … Kikirikii mein Hähnchen Du)

 –  Grigorieva / Teryushnova

 

Handlung: Boris stößt zu Ihnen. Erfreut sieht er, wie sein Sohn Fyodor die russische Karte studiert. Bald schon verdüstert sich seine Miene. Seit sechs Jahren herrscht er. Die vielen Sorgen und Bedrohungen bedrücken ihn, das Volk beschuldigt ihn, für ihr Elend verantwortlich zu sein.

Beim Eintreten von Boris dreht die Musik schlagartig ins Moll. Weil seine Familie sein einziger Lichtblick ist wechselt die Musik bald schon wieder ins Dur. Doch schwere Bläserakkorde bringen ihn wieder in trübe Gedanken.

Wir hören in dieser Szene den gebürtigen Bulgaren Nicolai Ghiaurov. Seine Interpretation des Boris war derjenigen von Christoff entgegengesetzt, sie ist weniger charakteristisch-expressiv, doch besticht sie durch ihre Musikalität und die fließende wohlklingende Stimme.

Dostig ya vyshey vlasti (Mein ist die höchste Macht jetzt / Boris’ Monolog) – Ghiaurov

 

 

Die große Wahnsinnsszene

Handlung: Sein Leibbojar erscheint und kündigt den Besuch von Shuiski an. Er berichtet zudem von einer Verschwörung von Vertrauten Godunovs, zu denen auch Shuiski gehörte. Shuiski tritt ein. Boris beschimpft ihn aufs Übelste. Shuiski bleibt ungerührt und berichtet ihm von einem Usurpator der in Polen Truppen sammelt. Er agiere unter dem Namen des verstorbenen Dmitri und wolle die Macht in Russland übernehmen. Boris will vom seinem Mitwisser Shuiski wissen, ob er sich auch sicher war, als er dannzumal die Leiche Dmitris sah. Geschickt schildert Shuiski den Antlitz der bereits in Verwesung befindenden Leiche und bejaht. Diese Schilderung verpasst ihre Wirkung nicht und entsetzt schickt Godunov ihn weg. Allein im Raum wird Boris von Erscheinungen gepeinigt und bricht zusammen.

Diese Szene von Boris Godunov gehört zu den größten Wahnsinnsszenen der Opernliteratur. Sie heißt auch Uhr-Szene, weil sich das Glockenspiel in Godunovs Zimmer zur vollen Stunde zu bewegen beginnt, und er darin den toten Geist Dmitris zu erkennen glaubt. Wir beobachten den schockierenden Verfall des Königs, der zeitweise nur noch stammeln kann. Es ist nicht mehr eine von Verdis oder Donizettis Wahnsinns-Szene mit Koloraturen und Tonsprüngen sondern die Deklamation wird zum Sprech-Theater. Mussorgsky verstärkt den Effekt, indem er mit wiederholten Tritoni, den instabilen Zustand von Godunov abbildet.

Schaljapin als Prototyp des singenden Schauspielers war der berühmteste und renommierteste Bass der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und sang in allen großen Opernhäuser (er trat ab 1921 nicht mehr in der Sowjet-Union auf). Boris Godunov war seine Paraderolle, und mit der Verkörperung dieser Rolle in der Produktion von 1908 verhalf er dieser Oper maßgeblich zum internationalen Durchbruch.

Uk tyazhelo (Oh, ich erstick)  – Shalypin

 

Wir hören eine weitere Aufnahme gesungen vom großen russischen Bassisten Alexander Kipnis, der den Boris erst spät in seiner Karriere gesungen hat.

Uk tyazhelo (Oh, ich erstick)  – Kipnis

 

Wir hören in einer dritten Aufnahme den nordamerikanischen Bass-Bariton George London. Ihm war als erster Nichtrusse vergönnt, den Boris 1963 am Bolschoi Theater zu singen, was für den Sohn von russischen Eltern das grösste Ereignis seiner Karriere war.

Uk tyazhelo (Oh, ich erstick)  – London

 

 

 

BORIS GODUNOV AKT III

 

 

 

 

Der «Polen-Akt»

Handlung: Dmitri lebt im Schloss einer polnischen Adelsfamilie.

Marinas Dienerinnen singen das sentimentale Lied «Am Ufer der Weichsel».

Na Vislye lazurnoy (Am Ufer der Weichsel)  –  Karajan

 

 

 

Handlung: Deren ehrgeizige Tochter Marina langweilt sich in der Provinz. Sie träumt, an der Seite von Dmitri als Zarin auf Moskaus Thron zu sitzen.

Skuchno Marinye (Langweilig ist’s mir) –  Garanca

 

 

Handlung: Der Jesuit Rangoni will über Marina Einfluss auf Dmitri gewinnen.

Krasoyu svoyeyu pleni samozvantsa (So fessle durch Schönheit den falschen Dimitri) –  Bielecki

 

Handlung: Während eines Balls erwartet der falsche Dmitri hoffnungsvoll Marina. Der Jesuit Rangoni tritt ihm entgegen. Er versichert ihm, dass Martina ihn liebe. Sie sei bereit mit ihm nach Russland zu gehen und mit ihm die Zarenkrone zu teilen. Er bittet Dmitri, ihn als Ratgeber begleiten zu dürfen um die orthodoxe Kirche zur katholischen zu bekehren.

Smiryenny, gryeshny bogomolyets za blizhnikh svoikh (Ein sündger demutsvoller Diener des himmlischen Herrn)  –  Kelemen / Spiess

 

Handlung: Marina erscheint, begleitet von Männern, die sie umschwärmen. Dies reizt die Eifersucht von Dmitri.

Mit einer brillanten Polonaise erscheinen die Gäste.

Vashey strast ya nye vyeryu (Nein, ich glaub nicht Euren süssen worten Marquis)

 

 

Das «italienische» Duett

Handlung: Als die beiden zusammen finden, erklärt Dmitri ihr seine glühende Liebe. Doch Marina interessieren seine Liebesschwüre nicht, wenn er eine Frau suche, werde er sicher auch in Moskau fündig. Dmitri widerspricht, er wolle nur sie, die Krone zähle für ihn nicht. Marina belächelt den brünstigen Liebhaber und droht, dass sie ihn einzig als Frau des Zaren heiraten würde. Darauf erklärt sich Dmitri bereit, die Armee in den Krieg gegen Godunov zu führen. Marina umschwärmt nun Dmitri und die beiden schwören ihre unheilige Verbindung.

Bei der Komposition des «Liebesduettes» verzichtete Mussorgsky bewusst auf die italienische Überschwänglichkeit, trotzdem begegnen wir hier einer schwärmerischen italienischen Musik, dessen musikalische Sprache das Genie Mussorgsky natürlich perfekt beherrschte.

Wir hören in dieser Aufnahmen Nicolai Gedda, es war vermutlich einer der ersten Aufnahmen des damals 27 jährigen schwedischen Tenors, der als Sohn eines russischen Kantors die russische Sprache perfekt beherrschte. Seine Stimme ist von glanzvoller Süße.

O tsarjevich, umolyayu, nye klyani (O tsarevich, I implore you) – Gedda / Kinasz

 

 

 

 

 

BORIS GODUNOV AKT IV

 

 

 

 

Handlung: Vor einer Kirche Moskaus. Das Volk wundert sich, dass der Priester im Gottesdienst den Zarewitsch gesegnet hat, denn der marschiert mit einem Heer auf Moskau zu.

Shto, otoshla obyednya (Nun, ist zu End ‘ die Messe?)  –  Karajan

 

 

Ein Bettler schockt den Zaren – die Schlüsselrolle des «Blödsinnigen»

Handlung: Bettler sind auf dem Platz. Einem Blödsinnigen Bettler wird von den Kindern  eine Kopeke gestohlen. Da taucht Boris Godunov mit großem Gefolge auf und der Bettler will, dass Godunov die Kinder bestraft. Godunov gibt ihm eine Kopeke und bittet ihn für den Zaren zu beten. Der nimmt das Geld weigert sich aber, für den Herodes Russland zu beten.

Der Blödsinnige hat in Puschkins Roman nicht die Rolle des komödiantischen Tumben, sondern die des Hofnarren, der die Realitäten (im Gegensatz zum Volk erkennt) und die Wahrheit aussprich, die niemand sonst aussprechen darf. Dadurch verkörpert der Blödsinnige die wichtigste politische Aussage Puschkins, nämlich, dass das ungebildete Volk alles akzeptiert, wenn nur das Alte abgelöst wird, ohne zu begreifen, dass das Neue nicht besser sein wird als das Alte.

Wir sehen diese Szene in einer sowjetrussischen Produktion aus dem Jahr 1954 mit Iwan Kozlowski, der diese Rolle prägte. Er war ein lyrischer Tenor, der auch Verdi sang und als «Stalins Hofsänger» (Wikipedia).

Kormilyets-batyushka, poday Khrista radi (Gebt uns in Christi Namen einen Almosen) –  Iwan Kozlowski

 

 

Die Revolutions Szene

Handlung: Auf einer Waldlichtung. Ein Bojar wird von den Bauern gefangen und soll zusammen mit seiner Frau gelyncht werden.

Diese Szene wird Kromy Szene (nach dem Waldstück) oder Revolutionsszene genannt. Es ist die archaische Szene einer Lynchjustiz, die ursprünglich am Schluss der Oper stehen sollte, aber öfters als zweitletzte Szene gespielt wird, was einen starken resignierenden Charakter erzeugt (siehe etwas weiter unten bei der Bemerkung des Blödsinnigen.

Vali syuda!  (Let’s put im here) –  Karajan

 

 

Handlung: Warlaam und Missail erscheinen und machen Stimmung für Dmitri.

Solntse, luna pomyerknuli (Sonne und Mond verfinstern sich)  –  Eisen / Baskov

 

Handlung: Als zwei polnische Jesuiten als Vorhut von Dmitris Truppen erscheinen, will die Meute die beiden Katholiken lynchen. Doch Dmitri erscheint und rettet sie. Er fordert die Menge auf ihm nach Moskau zu folgen. Zurück bleibt der Blödsinnige, der das bittere Los des russischen Volks beklagt.

Bei diesem Auftritt handelt sich um eine verwandte Variante des Auftritts des Blödsinnigen in der Szene vor der Kirche zu Beginn des vierten Aktes, die manchmal weggelassen wird. Die Aussage ist dieselbe: wieder ist es der Blödsinnige, der als einziger die bittere Realität erkennt, dass mit dem neuen Zaren sich das Schicksal der Menschen nicht zum Besseren wenden wird.  Dieser Auftritt (und in einigen Fassungen die Oper) endet mit einer im Ton sterbenden Klarinette. Ein depressives, ernüchternden Ende, dass musikalisch so endet wie es musikalisch begonnen hatte.

Lyetes, slyozy gorkiye (Fließet, heiß bittere Tränen ihr)

 

Handlung: Im grossen Saal des Kremls.  Die Bojaren sind versammelt. Geeinigt wollen den Truppen Dmitris entgegentreten.

Shtozh? Poydom na golosa, boyare (Auf, die Stimmen gebt ab Bojaren)  –  Bolshoi

 

Handlung: Shuiski erscheint. Er berichtet vom Zerfall des Zaren. Da erscheint der Zar in der Duma. Entsetzt sehen sie den wahnsinnig gewordenen Zaren, der den unsichtbaren Geist des Zarewitsch verscheuchen will. Boris nimmt auf dem Zarenthron Platz und Shuiski kündigt ihm die Ankunft eines weisen Alten an. Boris lässt den Mönch Pimen eintreten, der von einem Wunder berichtet. Er erzählt von einem blinden alten Mann, dem der verstorbene Zarewitsch erschien und der ihm zum Augenlicht verhalf.

 

 

Boris’ Vermächtnis

Handlung: Geschockt beschließt Boris die Zarenwürde seinem Sohn zu übergeben.

Diese Szene ist der Schwanengesang des Boris Godunov, beginnend mit einem lyrischen Gesang, bei dem er sich beschwörend an seinen Sohn wendet. Seine Stimme geht im pianissimo in höchste Regionen. Sie wird zuerst feierlich von Blechbläser begleitet, dann von zärtlichen Streicher untermalt. Schließlich wendet er sich an Gott. Mit einem expressiven Tremolo der Streicher begleitet entrückt die Stimme und verklingt feierlich.

Proschay moy syn, umirayu (Lebt wohl, mein Sohn, ich sterbe)  –  Christoff

 

Der Bühnentod

Handlung:  Man hört den Gesang einer Gruppe nahender Mönche. Boris wechselt sein Zarengewand mit der Büssergewand des Mönchs und bricht tot zusammen.

Wieder erklingen die Glocken erklingen, und noch einmal bäumt sich der Zar auf. Der Chor der Mönche ist zu hören,  sie sind sein Gewissen und er erkennt dass seine letzte Stunde naht. Boris ist nur noch ein Schatten seiner selbst und schafft nur noch Worte zu stammeln. Plötzlich setzt eine tröstende Melodie aus der Tiefe aus und Frieden kehrt in den sterbenden Zar. Tiefe Klarinetten und Fagotte begleiten ihn in den Tod, die Musik wendet sich in Dur und endet in einer tröstlichen Stimmung.

Zvon! Pogrebal’ny zvon! Hark! (Horch, ein Glockenton)  –  Talvela / Banjewicz

 

 

Die ganze Todesszene mit Boris Christoff

Christoff war zusammen mit Schaljapin vielleicht der berühmteste Boris. Er sang die Rolle über 600 mal und prägte die Rolle wie kaum ein anderer. Zu seinem Rollenverständnis gehört die Deklamation. In mancher Stelle singt er kaum noch, sondern verfällt in Theater-Deklamation, was bei gewissen Kritikern moniert wurde, aber zweifellos einen ergreifenden Effekt erzeugt hatte. Sehen sie die ganze Schlussszene in einer Verfilmung mit Boris Christoff. Beachten Sie insbesondere den Schluss (ab 11:30) mit der expressiven Deklamation.

Finale  –  Christoff

 

 

 

Aufnahme Empfehlung

 

 

 

 

Peter Lutz, opera-inside, der online Opernführer zu BORIS GODUNOV von Modest Mussorgsky.

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