Tschaikowsky schrieb zehn Opern und Eugen Onegin ist seine bekannteste und schönste. Gefühlsbetonte Musik, blendende Instrumentation und innere Dramatik prägen dieses Werk. Zudem schenkt uns Tschajkowsky schöne, musikalische Orchesterpassagen, welche an seine schönsten Ballette erinnern.
Tatjanas Briefszene – sie hat sich verliebt
Tatjana ging mit Onegin spazieren, sie fühlte sich seltsam zu ihm hingezogen, während Onegin kühl neben ihr herging. Abends in ihrem Zimmer kann sie nicht einschlafen. Die empfindsame Tatjana ist sich bewusst geworden, dass sie sich in Onegin verliebt hat. Sie setzt sich an den Schreibtisch und schreibt Onegin einen schwärmerischen Liebesbrief. Noch am morgen lässt sie ihn zu Onegin bringen.
Die Briefszene ist einer der grossen Monologe der Operngeschichte. Tatjana geht in dieser berühmten Szene alle Gefühlslagen durch. Von hoffnungslos verzweifelt bis zur ekstatischen Hochstimmung. Der Monolog ist in vier Abschnitte unterteilt, von denen jeder für sich alleinstehen könnte.
Wir lernen in dieser Briefszene vier wichtige Erinnerungsmotive kennen. Die Einleitung beschreibt Tatjanas glühende Sehnsucht. Das vibrierende Tremolo der Streicher spiegelt die innere Unruhe und Zwiespalt wider. Die Veränderung der Orchestereinleitung zu raschen Sechzehntelnoten mit gezupften Achteln des aufgeregten Herzschlags imitieren ihre Aufregung darüber, ob sie den Brief schreiben soll. Bald setzt Tatjana mit ihrem Entschluss ein: «Puskai pogibnu y» («Und wenn es mein Ende wäre»). Der Gesang wird fieberhafter, steigert sich in Wellen bis aufs hohe As und endet mit dem Entschluss sich sofort an den Schreibtisch zu setzen «vezdy, on predo mnoyu!». Als die Sängerin sich an den Schreibtisch setzt, verstummt sie, das Orchester beruhigt sich und beginnt mit einer neuen, diesmal ruhigen Einleitung. Das Leitmotiv Tatjanas ist in den Streicher hörbar:
Tatjana nimmt den Stift in die Hand, doch nach wenigen Takten stockt sie, was soll sie schreiben? Onegins Motiv erscheint, das mehrmals zärtlich in der Oboe gesungen wird:
Doch sie zögert: «ne v silakh ya vladyet svoyei dushoi!» («ich habe nicht die Kraft, mein Herz zu zwingen»). Was ist die Alternative? Tschaikowski zitiert Tatjanas Einsamkeitsmotiv in den Flöten:
Mit Onegins Motiv im Orchester beginnt sie zu schreiben («zachem vi posetili nas?», «wieso kamen Sie zu uns? »), sie legt alles offen. Sie schreibt das Geständnis ihren Seelenqualen. Tschaikowski steigert das Tempo immer mehr, die Musik wird immer drängender. Dann ändert sich die Stimmung schlagartig, als die Oboe das Liebesbekenntnis-Motiv singt:
Tatjana greift das Motiv zunächst zögerlich und zärtlich auf: «Kto ti: moi angel li khranitel» («Wer bist du? Mein Schutzengel oder ein listiger Versucher?»). Die Angst vor Ablehnung ist groß, doch sie will es versuchen. Als sie den Brief unterschreibt ertönen glanzvolle Blechblaser und jubelnde Streicher und Tatjana beendet mit zitternden Worten die Arie.
Die Briefszene von Anna Netrebko ist schlicht großartig. Sie beherrscht die intimen Teile dieses Stückes, ihr Gesang ist subtil, die Piani sind atemberaubend, um wenig später in großer Glut aus der vollen Kehle ekstatische Spitzentöne zu erzeugen.
Puskai pogibnu ya – Netrebko
Lenskis grosse Arie Kuda, kuda
Der Morgen des Duells bricht an. Lenski steht in einer trostlosen Schneelandschaft. Als er auf Onegin wartet schweifen seine Gedanken in Todesahnung zurück an seine vergangene Jugend und seine Liebe zu Olga.
Das melancholische “Kuda, Kuda” wurde zu einem Showstück vieler Tenöre. Sie hören vier Versionen in der Playlist.
Einen Eindruck eines klassischen russischen Tenors erhalten Sie in einer erstaunlich guten Tonqualität (Aufnahmejahr 1912) mit der Stimme des vielleicht besten russischen Tenors, Leonid Sobinov dieses «Lenski’s Aria» genannten Stücks. Russische Tenöre tönen für westliche Ohren etwas ungewöhnlich. Sie besitzen ein hohes Timbre, tönen sehr elegisch und vermögen schöne Linien zu singen. Doch sie sind nicht so farbenreich und tönen bisweilen etwas mager (Kesting).
Kuda, kuda vy (Lensky’s Aria) (1) – Sobinov
Das tragische Finale
Am Morgen in Gremins Haus. Tatjana hat einen Brief von Onegin erhalten, der bald schon erscheint. Tatyana erinnert sich noch gut als vor 2 Jahren Onegin sie mit einer kaltherzigen Predigt abfertigte. Das Glück war so nah, doch jetzt sei sie verheiratet und bitte Onegin zu gehen. Onegin weigert sich. Die gerührte Tatyana gesteht ihm seine Liebe. Aber ihre Treue gehöre ihrem Mann. Onegin will das nicht hinnehmen, doch Tatyana weist ihn ab und verlässt den Raum. Onegin verlässt fluchtartig das Haus.
Wir hören einen Ausschnitt aus dieser Szene aus einem Galakonzert von Anna Netrebko und Dmitri Hvorostovsky auf dem Roten Platz in Moskau.
O! Kak mne tiazhelo – Netrebko/Hvorostovsky
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