Massenets Manon gehört zu den absoluten Höhepunkten der französischen Oper. Die Rolle der Manon ist eines der eindrücklichsten Rollenportraits der Opernliteratur. Erleben Sie die grossartige Fülle der Ideen, die Massenet in dieser Oper komponiert hat.

 
 
 

 
 
 

Manons berühmter Abschied – «Adieu notre petite table»

«Adieu notre petite table» ist eine der berühmten Arien der Manon. Sie beschreibt den inneren Zwiespalt von Manon zwischen der ehrlichen Liebe zu Des Grieux und ihrem Wunsch nach einer glamourösen Zukunft. So geht Manon in dieser Szene durch ein Wechselbad der Gefühle. Zu Beginn ist sie ergriffen von ihrer Liebe zu Grieux («Mon pauvre chevalier… j’aime»), anschließend die Unsicherheit («Je ne suis digne de lui»). Doch dann wird sie befeuert vom Versprechen eines Lebens im Luxus einer Grosstadt und die Arie erreicht auf dem Wort «beauté» in einem hohen B ihren Höhepunkt. Das Motiv des Brétigny erscheint und für ein paar Momente schwelgt sie in der süßen Vorfreude auf ihre glänzende Zukunft. Doch bald schon wird sie übermannt (überfraut?) von melancholischen Gefühlen des Abschieds («Adieu notre petite table»). Sie realisiert, dass sie Ihren Königinnen-Traum teuer erkauft, nämlich mit dem Verlust ihrer Liebe.

Weite Stellen dieser Arie sind in piano geschrieben. Es sind aufrichtige Worte, deren Gefühle immer wieder im Orchester gespiegelt werden. Die spanische Sängerin Victoria de los Angeles (1923-2005) gilt für viele Experten als die beste Interpretin der Rolle der Manon. Kesting begründet dies so: «Victoria de los Angeles war die Sängerin der innigen Töne, für all das, was lyrisch und leise in der Musik ist. Ihr einzigartiges und unverkennbares Timbre lag in einem Mantel von Samt». Stratton spricht von «einer Stimme für zärtliche Halbschatten und sanfte Andeutung». Dies sind die idealen Voraussetzungen, für diese intime Schlüsselszene der Manon. Hören wir Victoria de los Angeles in einem Live-Mitschnitt, der das Gesagte exemplarisch dokumentiert.

Allons! … Adieu, notre petite table – de los Angeles

 
 
 
 

 
 
 

Massenets großartige Traum-Arie

Die Traum-Arie ist eine der berühmtesten Arien des Standard-Repertoires der Tenöre. Sie erfordert eine unglaubliche Finesse und Präzision, nicht nur in der Tonhöhe, sondern auch in der Resonanz und im Atem. Massenet hat diese delikate, im Piano gehaltene Arie mit einer zauberhaften Orchesterbegleitung geadelt. «Die Orchesterbegleitung besticht mit den hohen changierenden gedämpften Geigen, denen Massenet durch Flöte und Oboe noch mehr Helligkeit verleiht. Sie ist ohne Bässe komponiert und auch die Tenor Melodie ist zurückhaltend, sodass der Eindruck entsteht, die Arie könne jeden Moment abheben.» (Abbate / Parker, «Geschichte der Oper»).

Hören Sie die Aufnahme in einer schlicht großartigen Interpretation von Jussi Björling. Beachten Sie das wunderbare und expressive ritardando auf ca. 2:00 oder das atemraubende diminuendo am Schluss. Björling gilt für viele als der beste Verdi-Tenor des 20. Jahrhunderts. Leider hat er Manon nie auf der Bühne gesungen.

En fermant les yeux – Björling

 

 
 
 

 
 
 
 

«Ah fuyez douce images» – ein weiterer Geniestreich Massenets

Wie die Traumarie ist auch dieses Stück eine introspektive Reflexion seiner emotionalen Welt. Es ist zwei Jahre her, dass Manon ihn verlassen hat. Er ist immer noch besessen von ihr. Nach einem Takt des Rezitativs bemerkt Des Grieux «Je suis seul» («Ich bin allein»). Während er seine Entscheidung, Gott zu dienen («C’est le moment suprême») lobt, spielt das Orchester Liebesmusik und scheint Des Grieux zu widersprechen.

Seine Vision von Manon («Ah fuyez douce images») beginnt zart und pianissimo. Später wird die Musik intensiver und zeigt den Schmerz, den die Gefühle für Manon immer noch hervorrufen. Der Mittelteil spielt mit Manons Motiven und er verflucht Manon sogar, ohne sie zu nennen («ce nom maudit»; «dieser verdammte Name»). Die Orgel aus der Kirche begleitet ihn, während er hofft, diese Besessenheit zu überwinden. Aber bald kommen die Schmerzen zurück und er beendet diese große Arie mit einem schönen Diminuendo.

Wir hören Nicolai Gedda (1925-1987). Er war ein von Kennern hoch geschätzter Tenor. Seine Stimme bestach weniger mit Durchschlagskraft, sondern durch seine Gesangskunst und dem außergewöhnlichen Umfang. Kesting kommentiert: «Stets gelingt es ihm, vokale Eleganz mit absoluter Glaubwürdigkeit zu verbinden, wie in der Kloster Szene aus der 1962er Manon-Aufnahme unter Georges Prêtre: Das Rezitativ gestaltet er als Selbstgespräch eines verwirrten jungen Mannes, der sich vor seiner fatalen Liebe ins Kloster flüchtet. In der Arie wird Des Grieux (und mit ihm der Hörer) von den Gefühlen für Manon überwältigt, im parlando Mittelteil bezwingt Gedda sich noch einmal, während Orgelakkorde erklingen – um dann mit meisterhaft gestalteten Crescendo erneut fortgetragen zu werden.»

Je suis seul… ah fuyez douce images – Gedda

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